1. Einleitung.
1.1 Hintergrund.
1.2 Zielsetzung.
2. Methoden.
2.1 Datengrundlage.
2.1.1 Datenquellen.
2.1.2 Zeitliche Einteilung.
2.2 Artauswahl und Nomenklatur.
2.3 Erzeugung der Verbreitungskarten und
Karten von Veränderungen im Verbreitungsbild von Arten.
2.3.1 Grundidee.
2.3.2 Teilaspekte.
2.3.2.1 Bestimmung gut kartierter Rasterzellen.
2.3.2.2 Kernel und Bestimmung der Kernelgröße.
2.3.2.2 Erzeugung der Verbreitungskarten und Differenzkarten.
2.3 Darstellung der relativen Datendichte in Kartenform.
2.4 Darstellung der generellen Trends der Arealveränderungen.
3. Ergebnisse.
3.1 Lage gut kartierter Rasterzellen.
3.2 Lokale relative Datendichte.
3.3 Kernelgröße.
3.4 Verbreitung und Änderungen im Verbreitungsbild von Arten.
4. Diskussion.
4.1 Aussagekraft der Ergebnisse und Methodendiskussion.
4.2 Arten mit überwiegend positivem Verbreitungstrend.
4.3 Zusammenfassende Gesamtbewertung des Verfahrens.
5. Literatur und Quellenverzeichnis.
Atlasteil: Karten und Verbreitungstrends.
Die Verteilung von Arten – Arealausprägung und Besiedlungsdichte – wird durch biotische und abiotische Umweltfaktoren bestimmt. Infolge von Umweltveränderungen kann es zu Änderungen in der Verteilung von Arten kommen (Gaston 2003).
Vor diesem Hintergrund sind in jüngerer Zeit Auswirkungen des Klimawandels in das Licht des Interesses gerückt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Temperatur der Erdoberfläche um 1 °C (Max-Planck-Institut für Meteorologie 2006). In den letzten Jahrzehnten schritt die Erwärmung stärker voran als zuvor (ebd.). Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts prognostiziert das Max-Planck-Instituts für Meteorologie (Max-Planck-Institut für Meteorologie 2006) eine weitere Zunahme der globalen Jahresmitteltemperatur um 2,5 bis 4,0 °C. In Deutschland ist mit einer Zunahme der Winter- und Abnahme der Sommerniederschläge zu rechnen bei zunehmender Gesamtniederschlagsmenge (ebd.). In den vergangenen Dekaden wurden polwärtige Arealerweiterungen von Arten beobachtet und auf die globale Erwärmung zurückgeführt (z. B. Hickling et al. 2006, Parmesan 2006), dies auch bei Heuschreckenarten (z. B. Wissmann et al. 2009, Fartmann 2004). Neben Arealgrenzverschiebungen können Arten auch mit Änderungen in Abundanz, lokaler Frequenz oder Stetigkeit auf Umweltveränderungen reagieren. Neben dem Klima ist auch die Landnutzung und deren Wandel ein wichtiger Einflussfaktor auf das Artinventar von Landschaften (vgl. z. B. Fartmann 2006). In den vergangenen Dekaden haben Biotoptypen mittlerer Nutzungsintensität zugunsten intensiv bewirtschafteter Acker- und Mähweideflächen abgenommen. Grenzertragsstandorte wurden aus der Nutzung genommen. Ödlandflächen gingen stark zurück, wohingegen Siedlungs- und Verkehrsflächen zunahmen (ebd.).
Wissen über Areal- und Populationsveränderungen von Arten ist für viele ökologische Arbeiten von großer Bedeutung, z. B. bei naturschutzfachlichen Fragestellungen, wie Gefährdungsanalysen (z. B. Maas et al. 2002), oder generelleren Fragestellungen zu Areal-Umwelt-Beziehungen. Änderungen im Verbreitungsbild müssen dazu verlässlich feststellbar und quantifizierbar sein.
Zur Verwaltung und kartographischen Darstellung werden Fundmeldungen sehr häufig auf ein gleichmäßiges, rechteckiges Raster generalisiert und für viele Artengruppen rasterbasierte Verbreitungsatlanten herausgegeben (z. B. Maas et al. 2002, Kurdna 2002, Bundesamt für Naturschutz 2010, vgl. Donald & Fuller 1998, Gibbons et al. 2007, Rich 1998). In einigen Fällen wurden solche Atlaswerke bereits wiederholt (Gibbons et al. 2007), was die Betrachtung von Arealveränderungen ermöglicht. Für die Heuschrecken Deutschlands existiert mit der „Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands“ (Maas et al. 2002) ein Atlaswerk, das Präsenzmeldungen auf Basis des Rasters der amtlichen Topographischen Karte 1:25000 (Messtischblätter) darstellt. Die zugrundeliegende und von den Autoren für diese Arbeit freundlicherweise in digitaler Form bereitgestellte Datenbasis umfasst Datensätze eines größeren Zeitraums, die mit Zeitangaben versehen sind, was grundsätzlich die Bildung von Zeitperioden und die Untersuchung von Verbreitungsänderungen ermöglicht.
Bei der Untersuchug von Verbreitungsänderungen auf Basis von Rasterverbreitungsdaten treten allerdings Schwierigkeiten auf: Im Regelfall sind die Raster nicht vollständig kartiert. Der Anteil der Datenlücken und die Kartierintensität variieren in Raum und Zeit. Dabei spielen Faktoren wie der Wohnort entomologisch tätiger Personen, Erfassungsmethoden und räumlichwie zeitlich beschränkte Kartierprojekte eine Rolle (z. B. Dennis & Thomas 2000, Dennis et al. 1999, Rich 1998). Bei vielen Artgruppen nahm die Kartierintensität in den vergangenen Dekaden zu, was bei der Messung von Verbreitungsänderungen häufig störend wirkt (z. B. Telfer et al. 2002). Auch bei den Heuschreckendaten Deutschlands stieg die Datendichte bis in die 90er Jahre stark an und ist in den 2000er Jahren wieder geringer geworden (Tab. 1). Problematisch ist, dass solche Funddatensammlungen oft ausschließlich Präsenzmeldungen enthalten und keine direkten Angaben zum Kartierungsstand der einzelnen Zellen vorliegen (Rich 1998). Ist eine Art in einer Rasterzelle nicht verzeichnet, kann oft nicht sicher zwischen Absenz und Kartierlücke unterschieden werden. Da häufig auch Angaben zur Abundanz der Arten innerhalb der Rasterzellen fehlen (z. B. Gibbons et al. 2007), können zudem Bestandsrückgänge in Form von Dichteabnahmen innerhalb der Rasterzellen verborgen bleiben (z. B. Maas et al. 2002).
Die in Maas et al. (2002) abgedruckten Verbreitungskarten enthalten nur sehr wenig Informationen zu Änderungen im Verbreitungsbild der Arten. Die Autoren ordneten die Fundmeldungen drei Zeiträumen zu (vor 1950, 1950-1979 und 1980-2000) und stellten sie durch unterschiedliche Punktsymbole dar, wobei aber jüngere Fundpunkte die älteren überdecken. Fundpunkte aus älteren Perioden sind nur dann in den Karten sichtbar, wenn im betreffenden Rasterfeld keine neuere Meldung vorliegt.
Um Abnahmen von Arten auch zahlenmäßig zu fassen, wurden durch Maas et al. (2002) Rasterverluste der Arten zwischen dem Zeitraum vor 1980 und der Periode zwischen 1980 und 2000 berechnet. Es wurde von Zellen ausgegangen, die im früheren Zeitraum besetzt waren und auch im späteren als gut kartiert angesehen werden können. Die Einschätzung der Kartiergüte basiert auf einem Vergleich der Artenzahl pro Messtischblatt mit der durchschnittlichen Artenzahl der Messtischblätter des jeweiligen landschaftlichen Großraums (ebd.). Im Gegensatz zu Bestandsverlusten ließen sich mit dieser Methodik und gegebener Datenbasis Zunahmen nicht beschreiben. Aussagen dazu basieren auf Einzelbeobachtungen und Expertenmeinungen (ebd.).
Veränderungen in der Artverbreitung aus Rasterverlusten und –zugewinnen abzuleiten, ist häufige Praxis (z. B. Telfer et al. 2002, Donald & Fuller 1998). Die Arealveränderungen werden z. B. in Form eines „Change-Index“ dargestellt, wobei unterschiedliche Kartierintensität zu beiden Zeitpunkten ein häufiges Problem darstellt und berücksichtigt werden muss (Telfer et al. 2002). Das erfolgt z. B. durch Vergleich mit den Verbreitungsdaten anderer Arten mit Beschränkung auf gut kartierte Rasterzellen (ebd.). Schwierigkeiten, stabile von zunehmenden Arten zu unterscheiden oder überhaupt Arealveränderungen absolut und nicht nur im Vergleich zum durchschnittlichen Verhalten anderer Arten einer faunistischen Gruppe anzugeben, werden auch in Telfer et al. (2002) genannt.
Eine Reihe statistischer Verfahren bieten die Möglichkeit, aus punkthaften Daten kontinuierliche Werteoberflächen abzuleiten. Sie können auch bei der Erstellung von Verbreitungskarten anhand punkthafter Verbreitungsdaten Anwendung finden. Arealveränderungen können dann z. B. mittels Vergleichs der Werteoberflächen (Karten) zweier Zeitschritte festgestellt werden. Eine Gruppe von Techniken nutzt erklärende Umweltvariablen und die Fundmeldungen zur Erzeugung mathematisch-statistischer Arealmodelle. Auf deren Grundlage können für Erfassungslücken oder ganze Gebiete Vorhersagen über das Auftreten der Art gemacht werden. Eine Vielzahl solcher Methoden ist im Einsatz und die Entwicklung schreitet schnell voran (z. B. Schröder et al. 2009). Sehr häufig genutzt werden generalisierte lineare Regressions-Modelle (GLM) bzw. logistische Regression, die im Gegensatz zur OLS-(ordinary least square)-Regression den Umgang mit Zielvariablen ermöglichen, die Verteilungen der exponentiellen Familie zeigen, wie Poisson- und Binomialverteilung. Hinzu kommen generalisierte additive Modelle (GAM), environmental envelope-Modelle, neuere machine learning-Methoden, Kombinationen mehrerer Ansätze etc. (Guisan & Zimmermann 2000, Schröder et al. 2009, Zuur et al. 2009). Eine andere Gruppe von Methoden erzeugt flächenhafte Aussagen ohne Hinzunahme erklärender Variablen aus punktbezogenen Daten. Dazu gehören kernelbasierte Glättungsverfahren (Kernel-Smoothing) aus der Punktmusteranalyse zur Ermittlung der lokalen Intensität von Punktmustern (s. z. B. Bivand et al. 2008) oder räumliche Interpolationsverfahren wie Kriging (geostatistische Interpolation) (ebd.), das z. B. bei der Erstellung des Atlas der niederländischen Brutvögel (Hustings & Vergeer 2002) Verwendung fand.
Maas et al. (2002) berücksichtigen Fundmeldungen bis ins Jahr 2000. In den 2000er Jahren sind jedoch knapp 16000 weitere Fundmeldungen registriert worden. Da dies einen Zeitschnitt zu einem späteren Zeitpunkt bei besserer Datendichte ermöglicht, erscheint es lohnenswert, den erweiterten Datensatz erneut auf Veränderungen im Verbreitungsbild der Heuschrecken im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen, dabei eine veränderte Methodik anzuwenden, die nicht auf die Betrachtung negativer Veränderungen beschränkt ist, und den Heuschreckenatlas um (karto-)graphische Darstellungen von Arealveränderungen zu ergänzen.
Im Rahmen dieser Arbeit werden Änderungen im räumlichen Verbreitungsmuster der Heuschreckenarten Deutschlands aus den Rasterverbreitungsdaten zweier Zeitperioden abgeleitet. Negative wie auch positive Änderungen sollen gleichermaßen quantifizierbar sein und die Ergebnisse für einzelne Arten sowohl als deutschlandweiter, genereller Trend als auch ortsbezogen in Kartenform dargestellt werden. Dabei muss mit Problemen räumlich und zeitlich unterschiedlicher Kartierintensität und mangelnder Unterscheidbarkeit von Kartierlücken und Absenzbereichen umgegangen werden. Kartierlücken sollen nach Möglichkeit sinnvoll gefüllt werden. Ziel ist ein Verbreitungsatlas, der Verbreitungskarten enthält, die hinsichtlich Kartierlücken korrigiert sind, und Verbreitungsänderungen darstellt. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Darstellungen von Verbreitungsbildern und deren Veränderungen zunächst rein beschreibend erfolgen, d. h. lediglich aus den Verbreitungsdaten selbst abgeleitet werden. Diesen Darstellungen sollen noch keinerlei Modellannahmen unter Hinzunahme erklärender Variablen zugrunde liegen. Auflösung, Verlässlichkeit und Aussagekraft der Darstellungen werden diskutiert. Auf beschreibende Darstellungen solcher Art lassen sich weiterführende Auswertungen aufbauen, um Verbreitungsänderungen zu erklären und das Verhalten von Arten zu vergleichen. Die Zahl möglicher Fragestellungen ist groß. Sie können im Rahmen dieser Arbeit nicht annähernd abschließend behandelt werden. Jedoch werden beispielhaft Arten mit überwiegend positiver Arealveränderung herausgestellt und die Veränderungen in ihrem Verbreitungsbild beschrieben.
Bei den verarbeiteten Fundmeldungen der Heuschrecken Deutschlands handelt es sich im Wesentlichen um den Datensatz, der Maas et al. (2002) zugrunde liegt. Er wurde freundlicherweise von den Autoren zur Verfügung gestellt. Die Daten wurden von ihnen über das Jahr 2000 hinaus mit neueren Meldungen ergänzt. Außerdem arbeitete die AG Biozönologie am Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster weitere Fundmeldungen aus anderen Quellen ein. Diese sind im Quellenverzeichnis gesondert aufgeführt.
Alle Fundmeldungen sind auf das Blattschnittraster der Topographischen Karte 1:25000 (TK 25, Messtischblatt, ca. 10 km x 11 km) generalisiert. Jede Meldung enthält die Angabe der Art, die Nummer des Messtischblattes, aus dem die Meldung stammt, und eine Zeitangabe (eine Jahreszahl oder eine Spanne von Jahren).
Zur Weiterverarbeitung und räumlichen Analyse wurden den jeweiligen Meldungen die Koordinaten des Mittelpunktes (Schwerpunktes) des relevanten Messtischblatts zugeordnet.
Tab. 1: Anzahl der Heuschreckenfundmeldungen nach
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Zur Feststellung von Arealveränderungen erfolgte ein
Zeitschnitt im Jahre 1990 und eine Einteilung in
Fundmeldungen bis 1989 (inkl.) und solche ab 1990. Bei
dieser Aufteilung scheint die Verteilung der Datensätze
auf beide Zeitschritte günstig (vgl. Tab. 1) und der
Anteil zeitlich mit dem Stichtag überlappender und
daher nicht zuzuordnender Datensätze ist gering. 38802
Datensätze stammen aus dem Zeitraum bis 1989, 66229
aus dem Zeitraum ab 1990
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Die Auswahl bearbeiteter Arten richtet sich nach Maas et al. (2002). Dort sind alle in
Deutschland seit 1850 vorkommenden Arten berücksichtigt (ebd.). Ausgeschlossen wurden
davon die synanthropen Arten
Die Nomenklatur richtet sich nach Maas et al. (2002).
Es erscheint sinnvoll, zunächst in Form einer Übersicht die Grundzüge des Vorgehens darzustellen und danach in gesonderten Abschnitten auf Teilaspekte einzugehen.
Für jede Heuschreckenart und jeweils beide Zeiträume wurden Rasterdatensätze mit einer räumliche Auflösung von etwa einem Quadratkilometer erzeugt, die für ganz Deutschland die Artverbreitung darstellen. Die Werte der einzelnen Rasterzellen liegen im Intervall zwischen null und eins. Sie stellen eine Art lokale relative Rasterfrequenz bezogen auf das Messtischblatt-Raster dar. Die lokale Dichte besetzter Messtischblätter wird zur lokalen Dichte gut kartierter Messtischblätter ins Verhältnis gesetzt. Bei einem Wert von eins sind beide Dichten gleich, die Art kommt also in allen gut kartierten Zellen der Umgebung vor, beim Wert von null dagegen in keiner. Eine Kartendarstellung der Artverbreitung (Verbreitungskarten) erfolgt in Graustufen.
Die Nichtmeldung einer Art auf einem Messtischblatt kann einerseits auf einem Fehlen der Art, andererseits auf einer Kartierlücke beruhen. Die oben beschriebenen relativen Rasterfrequenzen haben im Gegensatz zu absoluten den Vorteil, dass sie weniger durch Kartierlücken beeinflusst sind, denn bei ihrer Berechnung wird die Dichte gut kartierter Rasterzellen mitberücksichtigt.
Die Mittelpunkte besetzter oder gut kartierter Messtischblatt-Rasterzellen können als Punktkarten dargestellt werden. Eine Auswertung kann mit statistischen Methoden der Punktmusteranalyse erfolgen, wenn man sie als Punktmuster oder Punktprozesse auffasst. Die lokale Dichte der Mittelpunkte entspricht dann der lokalen Intensität eines Punktprozesses und kann mit Hilfe kernelbasierter Glättungs-Methoden (Kernel-Smoothing) ermittelt werden (vgl. Bivand et al. 2008). Dabei bedient man sich eines Filters definierter Größe, dessen Mittelpunkt mit dem Ort des Interesses in Deckung gebracht wird. Aufgrund der Punktverteilung auf der durch das Filter überdeckten Fläche wird für den Ort des Interesses ein lokaler Intensitätswert ermittelt. Je nach Lage innerhalb der Grundfläche des Filters wird dabei das Auftreten von Punktereignissen unterschiedlich gewichtet. Ist eine flächendeckende Darstellung der lokalen Intensität für ein Gebiet gewünscht, kann das Filter als gleitendes Filter verwandt werden. Das Gebiet wird dazu mit einem imaginären Raster überdeckt und ein lokaler Intensitätswert für den Mittelpunkt einer jeden Rasterzelle ermittelt.
Die Grundidee der Vorgehensweise zur Erzeugung der Verbreitungskarten ist von den sogenannten Case-Control-Studien in der Epidemiologie abgeleitet, bei denen das relative Risiko für die Ansteckung mit einer Krankheit ermittelt wird, das nicht nur von der Verteilung der Krankheitsfälle (Cases) selbst, sondern zugleich der regionalen Bevölkerungsdichte und der Zusammensetzung der Bevölkerung (z. B. bzgl. Risikogruppen) abhängt (vgl. Bivand et al. 2008). Eine repräsentative Stichprobe von Kontrollfällen (Controls) wird beispielsweise anhand eines Einwohner-Melderegisters ermittelt. Krankheitsfälle und Kontrollfälle können als Punktmuster gesehen werden. Das relative Ansteckungsrisiko ergibt sich z. B. aus dem Quotienten der lokalen Intensitäten beider Punktmuster (ebd.). Bivand et al. (2008) schlagen in diesem Zusammenhang die auch in der vorliegenden Arbeit verwandten Kernel-Glättungsmethoden vor.
Rasterdarstellungen bzw. Karten von Verbreitungsänderungen können durch Berechnung der Differenz sich räumlich entsprechender Rasterzellwerte der Verbreitungskarten zweier Zeiträume erzeugt werden. Die Differenzen liegen im Wertebereich zwischen –1 und 1. Werden die Rasterzellwerte des früheren von denen des späteren Zeitraums subtrahiert, stehen negative Differenzen für eine Abnahme der lokalen relativen Rasterfrequenz, positive für eine Zunahme.
Die Ermittlung gut kartierter Rasterzellen basiert auf Referenzarten unter den Heuschrecken, von denen angenommen werden kann, dass sie in ganz Deutschland oder bestimmten landschaftlichen Großräumen nahezu flächendeckend präsent sind (landschaftliche Großräume nach Ssymank et al. 1998, als Zusammenfassung naturräumlicher Haupteinheiten nach Meynen & Schmidthüsen 1953-1965, zit. in Maas et al. 2002).
Für ganz Deutschland trifft dies auf
Messtischblätter gelten in einem Zeitraum als gut kartiert, wenn darin alle regionalen und bundesweiten Referenzarten mit höchstens einer Ausnahme gemeldet sind. Bei der Erstellung von Artverbreitungskarten wurden zusätzlich alle Messtischblätter als gut kartiert eingestuft, in denen die jeweilige Art des Interesses kartiert ist, und Mehrfachmeldungen einer Art pro Rasterzelle und Betrachtungszeitraum entfernt. Beides stellt sicher, dass nicht mehr Fundpunkte einer Art vorliegen können als gut kartierte Rasterzellen ermittelt wurden, sodass die später durch Quotientenbildung ermittelten lokalen relativen Rasterfrequenzen stets im Intervall von null und eins liegen.
Beim Kernel-Smoothing besteht die Auswahl zwischen verschiedenen Kernelfunktionen und die Kernelgröße (Bandwidth) kann unterschiedlich gewählt werden. Die sinnvolle Wahl der Kernelgröße ist dabei oft die bedeutendere (Bivand et al. 2008), weshalb objektive Kriterien zu ihrer Bestimmung anhand von Eigenschaften der zu untersuchenden Daten wünschenswert scheinen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein biquadratischer Kernel verwandt, der im R-Paket
Das Paket
Für Case-Control-Studien in der Epidemiologie schlagen Kelsall & Diggle (1995a, b, 1998) die Ermittlung der Kernelgröße durch Kreuzvalidierung unter Berücksichtigung beider Punktprozesse vor. Das relative Ansteckungsrisiko beruht auch tatsächlich auf beiden Prozessen, der Verteilung der Krankheitsfälle (Cases) und der Bevölkerung (Controls). Im Falle der Heuschrecken steht die Artverbreitung dagegen nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Kartierintensität (Dichte gut kartierter Messtischblatt-Rasterzellen), weshalb es sinnvoll scheint, bei der Kernelwahl allein die Fundmeldungen selbst zu berücksichtigen.
Das MSE-Kriterium diente dabei als Leitlinie. Dennoch wurden zusätzlich bei verschiedenen Arten unterschiedliche Kernelgrößen ausgetestet.
Mit der Kernelgröße wird festgelegt, aus welcher lokalen Umgebung Punktdaten in die Berechnung der lokalen Intensitäten einfließen. Es ist daher sinnvoll, für Verbreitungs- und Kontrolldaten jeweils dieselbe Kernelgröße zu wählen, sodass sich die durch Quotientenbildung verrechneten Intensitätswerte beider Punktprozesse auf denselben Raumausschnitt beziehen. Mit zunehmender Kernelgröße ergeben sich stärker geglättete Werteoberflächen. Bei gegebenem Datensatz können aus verschiedenen Kernelgrößen durch unterschiedliche Glättung für dieselbe Rasterzelle abweichende Intensitätswerte resultieren. Daher wurde auch für beide Zeitperioden dieselbe Kernelgröße gewählt, um auszuschließen, dass in den Verbreitungskarten dargestellte Veränderungen lediglich auf unterschiedlicher Glättung der Werteoberfläche in beiden Zeitabschnitten beruhen.
___
Die Kartenerzeugung erfolgte mit R (R Development Core Team 2009). Neben der Basisdistribution von R werden insbesondere folgende Programmpakete genutzt:
Eine regional unterschiedliche relative Datendichte – im Sinne des lokalen Anteils gut kartierter Messtischblätter an allen Messtischblättern – hat regionale Unterschiede in der Verlässlichkeit der Verbreitungskarten zur Folge. Es erschien daher sinnvoll, auch die relative Datendichte in Kartenform darzustellen. Das Verfahren entspricht dem zur Erzeugung der Verbreitungskarten. Wieder wurden die Mittelpunkte der Kartenblätter betrachtet, um eine Bearbeitung mit den Methoden der Punktmusteranalyse zu ermöglichen. Die Kartendarstellung der regionalen relativen Datendichte enthält Werte aus dem Intervall zwischen null und eins. Bei einem Wert von eins sind in der Umgebung alle Rasterzellen auch gut kartiert, bei einem Wert von null gibt es in der lokalen Umgebung keine gut kartierten Rasterzellen. Eine Darstellung der Veränderung in der Bearbeitungsintensität kann durch räumliche Differenzbildung erzeugt werden. Die Differenzwerte liegen folglich im Intervall von –1 und 1.
Die Karten der Änderungen im Verbreitungsbild ermöglichen ortsbezogene Aussagen. Um dagegen den deutschlandweiten, generellen Trend in der Verbreitung einzelner Arten graphisch und in Form einer einzelnen Zahl abzubilden, wurden Histogrammdarstellungen der Zellwerte der Veränderungs-Karten erzeugt und das arithmetische Mittel („Verbreitungstrendwert“) dieser Zellwerte berechnet. Die Pixelauflösung dieser Karten beträgt einen Quadratkilometer (in der Karten-Projektion), sodass die Histogramme die Größe von Flächen mit entsprechenden Verbreitungsveränderungen sowohl in Pixeln als auch näherungsweise in Quadratkilometern angeben.
Die Verbreitungstrendwerte und Histogramme wurden zunächst, wie auch die
Verbreitungskarten, für die Gesamtfläche Deutschlands berechnet. Es sind dadurch auch
Bereiche mit eingeschlossen, in denen die Datendichte ausgesprochen gering ist. Um starke
Verzerrungen der Ergebnisse durch mangelhafte Datenlage auszuschließen, wurden die
arithmetischen Mittelwerte für die einzelnen Arten noch ein weiteres Mal berechnet, allerdings
unter Betrachtung nur der Zellen, die zu beiden Zeitpunkten in Bereichen mit einer Datendichte
(2.4) von mindestens 0,2 liegen. Auf eine Histogrammdarstellung dieser Ergebnisse wurde
dagegen verzichtet. Durch die Beschränkung auf gut kartierte Bereiche entfallen einzelne Arten,
die überwiegend in den schlecht kartierten Gebieten vorkommen. Es wurde wiederum die Regel
angewandt, dass Arten nicht berücksichtigt werden, die in weniger als 10 Rasterfeldern des
Untersuchungsgebietes vorkommen. Betroffen sind
Leider ist es nicht ohne Weiteres möglich bzw. sinnvoll, die Abweichung der Mittelwerte von null und damit die Verbreitungsänderungen mittels einfacher Tests (wie z. B. t- oder Z-Test) auf statistische Signifikanz zu prüfen. Aufgrund des großen Stichprobenumfangs (Anzahl der Rasterzellwerte der Verbreitungsänderungskarte, die einen Wert aufweisen) werden durch die Tests i. d. R. selbst geringste Abweichungen als statistisch signifikant bezeichnet, dabei allerdings die räumliche Autokorrelation der Rasterzellwerte ignoriert und so der Stichprobenumfang überbewertet. Auch die Aussagekraft von Standardfehler und Standardabweichung sind aus diesem Grund beschränkt, weshalb sie nicht angegeben werden.
Im Zeitraum vor 1990 gibt es größere Gebiete, in denen nur wenige Messtischblätter gut kartiert (vgl. 2.3.2.1) sind (Abb. 1a). Es handelt sich um Schleswig-Holstein, die Nordseeküste, das Gebiet der damaligen DDR mit Ausnahme von Berlin, weite Teile Nordrhein-Westfalens, das westliche Rheinland-Pfalz und das Saarland. Auch Bayern und Teile Baden-Württembergs sind nur lückenhaft bearbeitet und insbesondere das Alpenvorland ist schlecht kartiert. Nach 1990 ist die Zahl gut kartierter Rasterzellen deutlich höher (Abb. 1b). Lücken befinden sich vor allem in Hessen, an der Nordseeküste und in Schleswig-Holstein.
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Abb. 1a und b: Lage gut bearbeiteter Messtischblätter. Links: Darstellung für den Zeitraum vor 1990, rechts: Darstellung für den Zeitraum ab 1990. |
Bezogen auf eine bestimmte Kernelgröße kann die lokale relative Datendichte angegeben werden (vgl. 2.4) (Abb. 2 für die Kernelgröße von 50 km). Sie ist ein Maß dafür, welcher Anteil der Messtischblatt-Rasterzellen in einer lokalen Umgebung einen guten Kartierungsstand aufweisen. Die Gebiete mit schlechtem Kartierungsstand vor 1990 (Abb. 2a) zeigen überweigend sehr große Zunahmen in der Datendichte zwischen den beiden Perioden (Abb. 2c). In Hessen nimmt die Datendichte ab.
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Abb. 2a-c: Lokale relative Datendichte für eine Kernelgröße von 50 km. Rot dargestellt ist die Isolinie von 0,2. |
Das im R-Paket
Lokale Minima der mittleren quadrierten Fehler (MSE) befinden sich bei Kernelgrößen von etwa 16800 m, 27300 m und 35800 m. Der automatisch ermittelte Wert für die optimale Kernelgröße liegt fast immer bei etwa 16800 m. Bei kleineren Kernelweiten treten in der Regel sehr hohe mittlere quadrierte Fehler auf. Bei den größeren Kernelweiten (geprüft bis 80000 m) variiert der MSE-Wert kaum noch und die mittleren quadrierten Fehler sind einander sehr ähnlich. Variationen der Kernelgröße in diesem Bereich wirken sich also nicht stark auf die Größe des mittleren quadrierten Fehlers aus.
Arealkarten für verschiedene Arten unter Nutzung unterschiedlicher Kernelgrößen können
mittels der R-Skripte sehr schnell berechnet und die Ergebnisse verglichen werden (Abb. 3 und
Abb. 4 für
Für die Erstellung der Heuschrecken-Verbreitungskarten im Atlasteil wurde eine Kernelgröße von 50 km gewählt (Diskussion zur Wahl der Kernelgröße im Abschnitt 4.1).
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Abb. 3: Verbreitungskarten von |
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Abb. 4: Verbreitungskarten und Verbreitungsänderungen von |
Karten zum Verbreitungsbild eines Großteils (Artauswahl s. 2.2) der Heuschreckenarten Deutschlands und Karten der Verbreitungsänderungen sind im Atlasteil abgedruckt, ebenso Histogrammdarstellungen der generellen Trends der Verbreitungsänderungen der Heuschreckenarten (vgl. 2.5). Zu jedem Histogramm wird der arithmetische Mittelwert der Veränderungen der lokalen relativen Rasterfrequenz genannt, wodurch die generelle Tendenz der Verbreitungsänderung einer Art in Form einer Zahl zum Ausdruck kommt. Auf eine textliche Behandlung aller Inhalte der beiden Atlasteile muss verzichtet werden, da es den Rahmen sprengen würde.
Die überwiegende Zahl der Heuschreckenarten Deutschlands zeigt negative Verbreitungstendenzen (vgl. Atlasteil). Etwa 20 Heuschreckenarten Deutschlands haben tendentiell positive Verbreitungstrendwerte (Tab. 2). Deren Verbreitungsänderungen (Tab. 2 und Atlasteil) werden im Abschnitt 4.2 beschrieben und diskutiert. Eine strikte abschnittsmäßige Trennung von Beschreibung und Diskussion schien aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht sinnvoll.
Tab. 2: Arten mit tendentiell positiven Verbreitungstrends. T1: Trendwerte unter Berücksichtigung der Rasterzellen mit hoher
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Es ist zunächst sinnvoll, sich vor Augen zu führen, was die Verbreitungskarten und Verbreitungstrendangaben (Atlasteil) genau darstellen. Die lokalen relativen Rasterfrequenzwerte in den Arealkarten geben für den jeweiligen Ort an, in welchem Verhältnis die Anzahl durch eine Art besetzter zur Anzahl gut kartierter Messtischblätter steht. In die Berechnung dieses Verhältnisses fließen Daten aus einer lokalen Umgebung ein, deren Größe durch die Kernelgröße vorgegeben wird. Die Form des hier gewählten Kernels bewirkt, dass Daten nähergelegener Messtischblätter in der Berechnung stärker gewichtet werden als räumlich entferntere.
Die im Atlasteil dargestellten Verbreitungsänderungen und die Verbreitungstrendangaben beruhen auf Veränderungen in der Messtischblatt-Rasterbelegung durch die Arten. Bestandsveränderungen in Form von Abundanzänderungen innerhalb der Rasterzellen können bei rasterbasiertem Arbeiten mit Präsenz(-Absenz)-Daten unbemerkt bleiben (z. B. Maas et al. 2002). Viele Autoren plädieren daher dafür, bei zukünftigen Atlasprojekten auch Abundanzen mitzuerfassen, da diese bezüglich der Ermittlung von Populationstrends sensitiver sind (z. B. Gibbons et al. 2007, Donald & Fuller 1998). Die Angaben in den Karten im Atlasteil sind nicht mit Abundanzangaben zu verwechseln. Gleichwohl besteht häufig ein positiver statistischer Zusammenhang zwischen der lokalen Abundanz von Arten und der Anzahl der Gebiete oder Standorte (hier Messtischblätter), in denen sie vorkommen (Gaston et al. 2000, Holt et al. 2002). Arten, die in ihrer Abundanz abnehmen, zeigen meist auch Abnahmen in der Zahl besiedelter Gebiete (Gaston et al. 2000). Zum Arealrand nimmt die Abundanz von Arten meist ab und zugleich häufig auch die lokale Gitterfrequenz (z. B. Gaston et al. 2000). Andererseits können einige Arten nur an wenigen Orten in der Landschaft vorkommen, dort aber hohe Dichten erreichen bei sehr geringer Rasterfrequenz, oder sie kommen an vielen Orten vor und zeigen dort nur geringe Dichten bei hoher Rasterfrequenz (vgl. Hustings & Vergeer 2002). So könnten beispielsweise hochmobile Arten im Gegensatz zu unmobilen eine geringere lokale Abundanz zeigen bei dennoch hoher Gitterfrequenz (vgl. Cowley et al. 2001).
Eine wichtige Stellschraube bei der Erzeugung der Verbreitungskarten ist die Kernelgröße. Je größer der Kernel, desto höher ist die Glättung der resultierenden Werteoberfläche (3.3), was sich in der Darstellung eher großräumiger Trends statt kleinräumiger Details, einem geringeren Windungsgrad der Isolinien und geringerer Extremwertneigung der Oberfläche äußert. Dem Verlust an räumlicher Auflösung und Kontrastschärfe steht allerdings gegenüber, dass mit zunehmender Kernelgröße vermehrt räumlich entferntere und damit in der Regel mehr Beobachtungen in die Berechnung lokaler Werte eingehen. So erhält die Einzelbeobachtung weniger Gewicht. Damit sinkt auch der Einfluss lokale Zufallseffekte bei der Arterfassung auf die Verbreitungskarten, z. B. zufälliges lokales Nicht-Auffinden einer Art.
Ähnliche Effekte wie die Kernelgröße hat die lokale relative Datendichte, also der Anteil gut
kartierter Messtischblätter innerhalb des Kernelfensters (3.2). Bei fester Kernelgröße erhalten
mit abnehmender Datendichte Einzelbeobachtungen zunehmendes Gewicht. Je geringer die
Datendichte, desto höher ist die Extremwertneigung der resultierenden Werteoberfläche und
desto mehr Gewicht erhalten auch lokale Zufallseffekte der Arterfassung. So scheinen die
Karten der Verbreitungsänderungen (Atlasteil) besonders in schlecht kartierten Gebieten (vgl.
auch 3.2) verstärkt größere Veränderungen anzuzeigen. Auch in Regionen nahe der
Staatsgrenze der Bundesrepublik resultiert eine verringerte Datengrundlage innerhalb der
Kernelgrundfläche, da die Gebiete außerhalb der Bundesrepublik nicht berücksichtigt werden.
Die Funktion
Für Fragestellungen, bei denen es um generelle Aussagen zu Ursachen von Arealveränderungen
oder der Reaktionen verschiedener ökologischer Gruppen auf Umweltveränderungen geht, wie
zum Beispiel bei den Auswertungen zum Einfluss von Ausbreitungsfähigkeit und
Habitatspezifität auf die Verbreitungstrends von Heuschreckenarten, bietet sich aus oben
genannten Gründen der Ausschluss von Gebieten mit schlechter Datenlage an. Aus eigener
Erfahrung scheint es sinnvoll, die Grenze bei einer relativen Datendichte von 0,2 (vgl. Abb. 2)
zu ziehen. In anderen Fällen, z. B. bei der Erstellung Roter Listen, wird man nicht gewillt
sein, Regionen auszuschließen. Dies geht jedoch zu Lasten von Verlässlichkeit und räumlicher
Auflösung der Ergebnisse, da zur Vermeidung von No-Data-Bereichen in den Karten eher große
Kernelweiten nötig sind. Im Atlasteil dieser Arbeit wurden keine Gebiete ausgeschlossen und
stattdessen die Kernelweite relativ groß gewählt (50 km). Ziel war es, alle Verbreitungsdaten
aus ganz Deutschland zu präsentieren. Zudem war es durchaus gewollt, Grenzen der Methode
auszutesten. Für die Wahl der Kernelgröße gilt generell, dass bei hoher Datendichte auch
kleinere Kernelweiten möglich sind und bei geringer Datendichte die Kernelweiten nicht zu
gering gewählt werden sollten. Bei Betrachtung unterschiedlicher Regionen können so
unterschiedliche Kernelweiten sinnvoll erscheinen. Der durch die in
Abgesehen von erhöhter Aussageungenauigkeit bei geringerer Datendichte gleicht das in dieser Untersuchung angewandte Verfahren stark unterschiedliche Datendichten zwischen zwei Aufnahmeperioden offenbar zufriedenstellend aus. So haben viele Arten negative Trendangaben, obwohl insgesamt die Anzahl der Heuschreckenmeldungen zwischen den Zeiträumen vor und ab 1990 deutlich zunimmt. Selbst in Gebieten mit besonders stark zunehmender Datendichte (vgl. 3.2), etwa in der (ehem.) DDR oder im Alpenvorland, zeigen nach Korrektur bzgl. Kartierintensität viele Arten eine Abnahme.
Gerade wenn schlecht kartierte Gebiete in eine Kartendarstellung eingeschlossen sind, mag sich
der Betrachter zusätzliche Informationen über die Verlässlichkeit der Kartenangaben wünschen,
die regional mit der Datendichte variiert. Bei geostatistischer, räumlicher Interpolation
metrischer Variablen mittels Kriging-Verfahren
Wie einleitend kurz erwähnt, wurden auch Kriging-Varianten bereits zur Erstellung von Verbreitungskarten genutzt (z. B. Hustings & Vergeer 2002). In ihrer ursprünglichen Form werden solche Verfahren zur räumlichen Interpolation metrischer Größen (i. d. R. normalverteilter Zufallsvariablen) verwandt, von denen Werte, z. B. Messwerte, nur an einzelnen Orten vorliegen (Bivand et al. 2008). Auf Präsenz-Absenz-Daten (binomialverteilt) wurden Kriging-Varianten kaum angewandt. Es wäre außerdem zu klären, ob über die Variogrammmodellierung eine für eine Fragestellung sinnvolle Gewichtung umliegender Messwerte ermittelt wird, wenn lokale Datendichte und räumliche Betrachtungsebene außer Acht gelassen werden. Resultieren könnten z. B. kleinräumig zu stark variierende Oberflächen. Verstärkt wird dies möglicherweise noch dadurch, dass Kriging in der Regel dazu neigt, an Orten von Beobachtungen die Oberfläche den beobachteten Werten stark anzunähern, was bei Verbreitungskarten, die aus Präsenz-Absenz-Daten abgeleitet sind, gar nicht unbedingt erwünscht ist. Bei der Variogrammmodellierung sehr von der durch die Semivarianz der Daten vorgegebene Variogrammwolke abzuweichen, würde den Sinn von Kriging verfehlen, Gewichte für die räumliche Interpolation objektiv aus statistischen Eigenschaften der Daten selbst abzuleiten. Daneben müssten die durch Kriging ermittelten Angaben zur lokalen Verlässlichkeit der Werteoberfläche für die Arealmodellierung auf Basis von Präsenz-Absenz-Daten fachlich sinnvoll, für weitere Auswertungen nutzbar und kartographisch darstellbar sein. Das Testen von Kriging-Varianten zur Erzeugung von Verbreitungskarten könnte dennoch durchaus lohnend sein, wobei im Rahmen dieser Arbeit darauf verzichtet wurde.
Für die Heuschreckenverbreitungsdaten Deutschlands schien der Ansatz naheliegender, die Fundmeldungen und Lage gut kartierter Messtischblätter als Punktmuster aufzufassen und Werteoberflächen durch Intensitätsbetrachtungen zu erzeugen statt durch räumliche Interpolation lokaler Werte. Allerdings lassen sich auch Argumente finden, die gegen die Verwendung von Verfahren der Punktmusteranalyse sprechen. Kritik könnte beispielsweise daran ansetzen, dass die Fundpunkte nicht frei und zufällig verteilt, sondern gitterbasiert (bezogen auf den Blattschnitt der Messtischblätter) angeordnet sind, oder mehrfache Fundmeldungen einer Art im selben Messtischblatt und Zeitraum ignoriert werden. Schließlich könnten die Fundmeldungen selbst als flächenbezogene Daten, nämlich bezogen auf die Grundfläche eines Messtischblattes aufgefasst werden, wobei die Messtischblätter eine flächendeckende Tesselation des Raumes bilden. Für raumbezogene Daten dieser Art, bzw. bei entsprechender Sichtweise, gibt es wiederum eigene statistische Verfahren (vgl. z. B. Bivand et al. 2008, Kap. 9 bis 11). Der Ansatz mit Methoden der Punktmusteranalyse ist also sicher nicht der einzige, aber ein gangbarer Weg und offenbar gibt es nicht generell das statistische Standard-Verfahren zur Auswertung von Rasterverbreitungsdaten, wie denen der Heuschrecken Deutschlands.
Für die Planung künftiger Atlasprojekte ergibt sich aus dieser Diskussion die Frage, ob es überhaupt sinnvoll oder nötig ist, Fundmeldungen auf ein gleichmäßiges Raster zu generalisieren (s. a. Dunn & Weston 2008). Beispielsweise ließen sich Methoden der Punktmusteranalyse auch auf Punktwolken ortsgenauer Fundmeldungen anwenden. Mit der zunehmenden Verbreitung tragbarer GPS-Geräte sind ortsgenaue Fundmeldungen heute recht einfach möglich (ebd.). Diese Frage sei ohne eingehendere Diskussion dahingestellt.
In dieser Arbeit wurde der Ansatz verfolgt, Karten der Artverbreitung und ihrer Änderungen zunächst rein beschreibend aus den Verbreitungsdaten selbst und ohne Hinzunahme erklärender Umweltvariablen zu erzeugen. Diese noch wertfreien Beschreibungen sollen als Datengrundlage für weiterführende Analysen nutzbar sein. Dem gegenüber steht der Modellierungsansatz, bei dem bereits die Darstellung der Artareale auf Arealmodellen unter Nutzung erklärender Umweltvariablen beruht. Übersichten gängiger Verfahren finden sich z. B. in Guisan & Zimmermann (2000) oder Schröder et al. (2009). Gegenüber dem in dieser Arbeit gewählten Ansatz besteht der Vorteil, dass solche Modelle anhand relativ weniger Beobachtungen geeicht werden können und dann Vorhersagen zur Verbreitung von Arten auch für Gebiete möglich sind, aus denen gar keine realen Beobachtungen vorliegen (Donald & Fuller 1998). Die Beobachtungen müssen dabei nicht gitterbasiert sein (ebd.). Allerdings ist auch für diese Methoden das Fehlen von Absenz-Informationen ein Problem und man arbeitet häufig mit Pseudo-Absenz-Daten, deren Generierung kritisch ist (z. B. Chefauoi & Lobo 2008, s. a. Schröder et al. 2009). Modellierungsansätze werden häufig zu Test und Quantifizierung des Einflusses von Umweltfaktoren auf die Verbreitung einer Art eingesetzt (Schröder et al. 2009). Auch Prognosen über die zukünftige Verbreitung von Arten können abgeleitet werden unter Vorgabe möglicher zukünftiger Umweltbedingungen (Schröder et al. 2009). Bei der Nutzung zur Arealabgrenzung und der Untersuchung von Verbreitungsänderungen haben Arealmodelle aber einen gewichtigen Nachteil. Man muss sich vor Augen führen, dass ein auf Modellbasis abgegrenztes Areal nicht ein reales, sondern ein theoretisches ist (z. B. Guisan & Zimmermann 2000, Guisan & Thuiller 2005), das auf einer mehr oder weniger vollständigen und zutreffenden Modellannahme beruht. Einerseits kann die Modellgüte durch die Messbarkeit wichtiger Umweltfaktoren, Verfügbarkeit von Umweltdaten in passender räumlicher Auflösung, Interkorrelation und räumliche Autokorrelation von Variablen, räumlicher Betrachtungsebene, Gitterauflösung, relative Standortkonstanz von Arten (vgl. Walter & Walter 1953) und viele weitere Faktoren eingeschränkt sein (vgl. Donald & Fuller 1998, Schröder et al. 2009, Guisan & Zimmermann 2000). Andererseits können Arten z. B. historisch bedingt in Bereichen fehlen, in denen eigentlich geeignete Umweltbedingungen herrschen. So können klimatische Verhältnisse und Ausbreitungsbarrieren nach der letzten Eiszeit ein Grund sein. Das Modell wird dann eher ein potentielles Areal abbilden (Guisan & Zimmermann 2000, Guisan & Thuiller 2005). Das schränkt die Verwendbarkeit von Modellierungsansätzen zur Erstellung von Verbreitungskarten oder -atlanten aus verstreuten Fundmeldungen und bei der Betrachtung von Arealveränderungen ein. Probleme treten besonders im Falle schnell wechselnder Umweltbedingungen auf (ebd.). So können herkömmliche Modelle i. d. R. nicht mit einbeziehen, wie schnell eine Art ein potentiell geeignetes Areal zu besiedeln im Stande ist (Schröder et al. 2009). Räumlich explizite, dynamische, prozessbasierte Modelle wären nötig (ebd., Guisan & Thuiller 2005). Donald & Fuller (1998) merken an, dass es interessant sein könnte, in Modellen nicht Artverbreitung und Umweltvariablen miteinander in Beziehung zu setzen, sondern deren Veränderungen. Dies ist möglicherweise ein interessanter Ansatz zur weiteren Auswertung der in dieser Arbeit erzeugten Beschreibungen und Darstellungen von Verbreitungsänderungen.
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An dieser Stelle die Verbreitungsänderungen aller Heuschreckenarten Deutschlands eingehend zu diskutieren, würde den Rahmen sprengen. Es erschien jedoch lohnend, Arten mit überwiegend positiven Verbreitungstrends herauszugreifen. Zum einen wurden in den letzten Dekaden Arealausdehnungen von Heuschreckenarten beobachtet. Zahlreiche Hinweise darauf finden sich z. B. in Maas et al. (2002). Positive Änderungen im Verbreitungsbild werden dort jedoch nicht systematisch anhand der Datenbasis von Fundmeldungen quantifiziert und dargestellt. Maas et al. (2002) ist als Gefährdungsanalyse angelegt und setzt den Schwerpunkt eher auf die Betrachtung negativer Verbreitungsänderungen, sodass eine systematische Behandlung tendentiell eher zunehmender Arten eine sinnvolle Ergänzung ist. Zum anderen ist es für Zwecke der Qualitätskontrolle und Beurteilung der zur Darstellung von Verbreitungsänderungen angewandten Verfahren (4.3) interessant, stichprobenartig einige Ergebnisse mit Angaben in der Fachliteratur zu vergleichen. Falls nicht anders angegeben, stützt sich die Diskussion in diesem Kapitel auf die Trendangaben unter Ausschluss schlecht kartierter Gebiete.
Alle Heuschreckenarten, bei denen tendentiell positive Verbreitungstrends ermittelt wurden
(Tab. 2), werden durch Maas et al. (2002) als ungefährdet eingestuft.
Bei den Arten der Vorwarnliste ist die Gesamtbewertung dadurch erschwert, dass sie regional
unterschiedliche Verbreitungstrends zeigen.
Bei einem großen Teil der Arten, bei denen ein deutlich positiver Verbreitungstrend festgestellt
wurde, können die ermittelten Arealveränderungen mit zusätzlichen Literaturquellen belegt
werden. Diese Arten und ihre Arealveränderungen sollen kurz genannt werden:
Bei
Die Verbreitungstrends von
Alle weiteren Arten weisen einen Trendwert kleiner oder gleich fünf auf (T1 in Tab. 2).
Sie sind in ihrer Verbreitung, zumindest bezogen auf die Messtischblatt-Rasterbelegung, wohl
als mehr oder weniger konstant anzusehen. Da
Insgesamt scheinen die erzielten Ergebnisse zufriedenstellend. Das Verfahren ist in der Lage, mit Kartierlücken umzugehen und kartographische Darstellungen von Artarealen und Änderungen im Verbreitungsbild von Arten zu erzeugen. Diese stellen eine Bereicherung des bisherigen Verbreitungsatlasses dar. Positive und negative Änderungen im Verbreitungsbild von Arten sind gleichermaßen messbar. Die Auswertung muss nicht auf Rasterzellen eingeschränkt werden, die zu beiden Zeitpunkten gut kartiert sind. In Regionen geringer Datendichte leidet die Aussagekraft. Eine gewisse Aussagesicherheit scheint bei relativen Datendichten ab 0,2 gegeben. Eine verbesserte Darstellung der lokalen Verlässlichkeit der Karten wäre sicherlich erstrebenswert, war jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht umsetzbar. Für Arten mit überwiegend positivem Trend zeigte sich außerhalb der schlecht kartierten Regionen eine recht große Übereinstimmung zwischen den Aussagen der Verbreitungskarten und Angaben in der Literatur. Problematisch sind einige schwer erfassbare Arten, bei denen größere Datenlücken bestehen. Die Darstellungen der generellen Trends von Arealveränderungen scheinen ebenfalls brauchbar. Bei den Literaturvergleichen zeigte sich, dass bei Trendwerten ab etwa fünf in der Regel auch in der Literatur deutliche Hinweise auf Verbreitungszunahmen der Arten zu finden sind. Trendwerte betragsmäßig unter fünf deuten daher wohl auf konstante Verbreitung hin. Leider lassen sich auch die Trendwerte nicht ohne Weiteres auf signifikante Abweichung von null testen und keine Vertrauensbereiche angeben. Reine rasterbasierte Präsenz-Daten ermöglichen es nicht, Abundanzänderungen innerhalb von Rasterzellen zu betrachten. Das vorgestellte Verfahren bewertet daher lediglich Veränderungen der Messtischblatt- Rasterbelegung von Arten und nicht deren Individuenzahlen und Bestandesgrößen.