Extensive Ganzjahresbeweidung mit Pferd und Rind
Neue Wege beim Schutz von Extensivgrünland

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"Extensive Ganzjahresbeweidung mit Heckrindern und Koniks"

Schutz von Extensivgrünland – Die derzeitige Situation

Extensive Grünlandnutzung wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend unrentabel. Viele Flächen erfuhren daher starke Intensivierung oder Nutzungsaufgabe (Riecken et al. 1997). Häufig handelt es sich bei traditionell extensiv genutzten Grünlandflächen um naturschutz-fachlich hochwertige Bereiche. Der Erhalt geschah bisher mittels Subventionierung unrentab-ler, doch naturschutzkonformer Bewirtschaftung (Vertragsnaturschutz) oder durch kostenin-tensive Pflegemaßnahmen (Riecken et al. 1997). Da Finanzmittel für diese Zwecke und in einigen Regionen auch landwirtschaftliche Betriebe mit entsprechendem Gerät nur in be-grenztem Maße zur Verfügung stehen, wird nach neuen tragbaren Biotoppflegekonzepten gesucht (ebd., Riecken et al. 2001).

Extensive Ganzjahresbeweidung mit Pferd und Rind - Idee und Leitbild

Eine mögliche Alternative ist der Einsatz robuster Weidetiere wie Rind und Pferd in großflä-chigen, extensiven Ganzjahresweidesystemen. Dabei werden die Tiere ganzjährig in gerin-ger Dichte auf großen Koppeln im Freien gehalten, wo sie selbständig Nahrung suchen und in halbwilder Form im Herdenverband leben. Eine intensive Tierbetreuung ist nicht notwendig und auf Weidepflege wird weitgehend verzichtet. Finanz- und Personalaufwand bleiben ge-ring (Riecken et al. 2001, Riecken et al. 2004). Es werden halboffene Weidelandschaften angestrebt nach dem Vorbild historischer Hudelandschaften (Riecken et al. 2001, Steven 2003). Diese zeichnen sich durch ein kleinräumig und zeitlich dynamisches Mosaik von Ge-hölzen, Säumen und offenen Grünlandbereichen aus (Steven 2003). Die Weidetiere haben darin eine Schlüsselstellung. Sie beeinflussen ihre Umwelt etwa durch selektiven Fraß, se-lektive Über- und Unterbeweidung, Gehölzverbiss, Tritt, Komfortverhalten oder Ausschei-dungen. Reichstrukturierte Hudelandschaften sind sehr artenreich, aus Naturschutzsicht sehr wertvoll (Steven 2003, Pott u. Hüppe 1991) und besitzen oft ein ansprechendes Land-schaftsbild. Aber bedeutet der Schutz halboffener Weidelandschaften nicht den Erhalt eines menschengemachten, historischen Landschaftszustandes und teilweise gar Naturschutz gegen die Natur? Lange war die Auffassung verbreitet, Europa sei ohne Einflussnahme des Menschen nahezu vollständig von Wald bedeckt. Heute verbreitet sich die Überzeugung, dass große Pflanzenfresser wie Waldtarpan (Wildpferd) und Auerochse neben weiteren Ar-ten ursprünglich fester Bestandteil vieler natürlicher Ökosysteme Europas (z. B. Auenökosysteme) waren und als Schlüsselarten einen großen Einfluss auf die Vegetation ausübten (Bunzel-Drüke et al. 1999, Vera 1999). Sehr wahrscheinlich waren sie in der Lage, Offenland zu erhalten oder gar zu schaffen (ebd.). Dafür spricht beispielsweise auch das Auftreten einiger Offenlandarten in der Flora und Fauna Mitteleuropas, deren nacheiszeitliches Überleben in einem Waldland schwer vorstellbar ist (Bunzel-Drüke et al. 1994, Vera 1999).

Neue Wege im Naturschutz?

Die Etablierung extensiver großflächiger Ganzjahresweidesysteme bedeutet eine teilweise Abkehr vom bisher dominierenden statisch-konservierenden Naturschutzansatz, bei dem oft mit großem Aufwand und auch gegen natürliche Prozesse wie Sukzession versucht wird, Biotope in einem bestimmten Zustand zu erhalten (Riecken et al. 1998). Dem gegenüber steht der Ansatz, dynamische Prozesse in der Landschaft zuzulassen und zu fördern. Bioto-pe vergehen dann und entstehen an anderer Stelle neu (vgl. Remmert 1991, Pickett u. White 1985). Redynamisierung kann in der heute dichtbesiedelten Landschaft nur eingeschränkt zugelassen werden (Riecken et al. 1998) und es bleiben Unsicherheiten z. B. hinsichtlich der anzunehmenden Naturlandschaft und ihrer Großtierfauna ohne den Einfluss des Menschen (Bunzel-Drüke et al. 1999). So wird man auch in extensiven Ganzjahresweideprojekten einen Kompromiss zwischen beiden Naturschutzansätzen suchen (Riecken et al. 2004). Derzeit haben solche Projekte noch Experimentcharakter, doch zeichnen sich in vielen Gebieten überwiegend positive Entwicklungen ab bei relativ geringem Personal- und Mittelaufwand.

Literatur

Bunzel-Drüke, M., Drüke, J. und H. Vierhaus (1994): Quaternary Park. In: ABUinfo 17/18. Hefte 4/93 und 1/94. Online unter: www.abu-naturschutz.de/_dnload/quaterna.pdf (abgerufen am: 27.01.2007).
Bunzel-Drüke, M., Drüke, J., Hauswirth, L. und H. Vierhaus (1999): Großtiere und Landschaft – Von der Praxis zur Theorie. In: Gerken, B. und M. Görner (Hrsg.): Europäische Landschaftsentwicklung mit großen Weidetieren. Höxter. 210-229 (= Natur- und Kulturlandschaft 3).
Pickett, S. T. A. und P. S. White (1985): Natural Disturbance and Patch Dynamics: An Introduction. In: Pickett S. T. A. und P. S. White (Hrsg.): The ecology of natural disturbance and patch dynamics. Orlando.
Pott, R. und J. Hüppe (1991): Die Hudelandschaften Nordwestdeutschland. Münster (= Abhandlungen aus dem Westfälischen Museums für Naturkunde 53 (1/2)).
Remmert, H. (1991): The mosaik-cycle concept of ecosystems. Berlin (= Ecological Studies 85).
Riecken, U., Klein, M. und E. Schröder (1997): Situation und Perspektive des extensiven Grünlandes in Deutschland und Überlegungen zu alternativen Konzepten des Naturschutzes am Beispiel der Etablierung „halboffener Weidelandschaften“. In: Klein, M., Riecken, U. und E. Schröder (Bearb.): Alternative Konzepte des Naturschutzes für extensiv genutzte Kulturlandschaften. Bonn-Bad Godesberg. 7-23 (= Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 54).
Riecken, U., Finck, P., Klein, M. und E. Schröder (1998): Schutz und Wiedereinführung dynamischer Prozesse als Konzept des Naturschutzes. In: Finck, P., Klein, M., Riecken, U. und E. Schröder (Bearb.): Schutz und Förderung dynamischer Prozesse in der Landschaft. Bonn-Bad Godesberg. 7-19 (= Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 56).
Riecken, U., Schröder, E. und G. Woithe (2001): Halboffene Weidelandschaften und Wildnisgebiete als Ziele des Naturschutzes aus Bundessicht – Alternative zum Erhalt und zur Pflege von Offenlandbiotopen. In: Gerken, B und M. Görner (Hrsg.): Neue Modelle zu Maßnahmen der Landschaftsentwicklung mit großen Pflanzenfressern. Höxter. 88-94 (= Natur- und Kulturlandschaft 4).
Riecken, U., Finck, P. und W. Härdtle (2004): Weidelandschaften und Wildnisgebiete: Vom Experiment zur Praxis – eine Einführung. In: Finck, P., Härdtle, W., Redecker, B. und U. Riecken (Bearb.): Weidelandschaften und Wildnisgebiete – Vom Experiment zur Praxis. Bonn-Bad Godesberg. 9-19 (= Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 78).
Steven, M. (2003): Möglichkeiten der Umsetzung alternativer Konzepte des Naturschutzes in der Emsaue, dargestellt an den Planungen für die Entwicklung einer halboffenen Weidelandschaft bei Haus Langen. In: Natur- und Umweltschutz-Akademie des Landes Nordrhein-Westfalen: Die Ems – ein Modell für die Zusammenarbeit im europäischen Naturschutz?. 49-62 (= NUA-Heft 13).
Vera, F. W. M. (1999): Ohne Pferd und Rind wird die Eiche nicht überleben. In: Gerken, B. und M. Görner (Hrsg.): Europäische Landschaftsentwicklung mit großen Weidetieren. Höxter. 404-425 (= Natur- und Kulturlandschaft 3).